So oder ähnlich kann man die beiden Liliputbahnen im Süden und im Nordwesten Englands charakterisieren, die ich in diesem Jahr anläßlich zweier völlig unterschiedlicher Urlaube besucht habe, und die mich sofort begeistert haben.
Die erste, die Romney, Hythe and Dymchurch Railway besuchte ich mit Sandra im Rahmen einer viertägigen "Test-Kreuzfahrt" mit AIDAluna. Normalerweise sind wir ja mit der "Mein Schiff"-Flotte von TUI unterwegs, aber einerseits wurde unser Lieblingsschiff konzernintern verkauft und andererseits kann man sich nur ein Urteil über etwas bilden, was man auch selbst ausprobiert hat. Und ich kann sagen, wir bleiben bei TUI.
Das Schiff war zwar schön, das Personal wirkte etwas überfordert, aber einige Dinge gingen in unseren Augen gar nicht. Vom Zücken der Bordkarte und Unterschreiben eines Kassenbons für JEDES (!) einzelne Getränk, über das Gedränge und die Sucherei nach freien Plätzen im Restaurant (Hier sind die Getränke während der Mahlzeit gratis, und da hält man sich stundenlang an einem Bier fest...) bis hin zu den teils extrem knalligen Farben an Bord entsprachen einfach zu viele Dinge nicht den Vorstellungen einer Kreuzfahrt, wie wir sie vom AI-Schiff kannten. Dabei ist es auch noch unterm Strich teurer. Außerdem ist es ein Unterschied wie der AKE-Rheingold (TUI) zum Müller-Touren-Tanzzug (AIDA) - zumindest vom Publikum her.
Lange Rede, kurzer Sinn, wir erreichten Dover, wo wir einen Leihwagen reserviert hatten. Mit diesem fuhren wir dann nach New Romney, dem Betriebsmittelpunkt mit Bw & Co., und nachdem wir uns beim örtlichen Sainsbury's Supermarkt mit £ eingedeckt hatten, ging es zum Bahnhof. Der Tarife unkundig löste ich zwei Rückfahrttickets zum Zielbahnhof des nächsten Zuges (man will seine Holde ja nicht mit übermäßigem Warten strapazieren, wenn der Aufenthalt schon im Zeichen der Schiene steht...) - nach Dungeness. Bald rollte unser Zug ein, und unsere Bedenken wurden wieder wach....würden wir durch die kleinen Türchen passen? Wir sind ja beide nicht gerade Hungerhaken...doch es sollte tatsächlich gehen. Was für ein Glück!

Gezogen von der roten 2'C1'-Pacific Nr.9 "Winston Churchill" setzte sich der Zug auf die Minute pünktlich (Was sonst???) in Bewegung. Von YouTube Videos war mir bekannt, daß man hier nicht im Feldbahntempo verkehrt, aber als die mit Tender fast 12 t schwere Lok den ellenlangen Zug aus nicht weniger als 12 Wagen immer mehr beschleunigte, daß man auf den geschraubten Schienen das Gefühl hatte, in einem Expreß zu sitzen, war ich doch redlich überrascht - mit nicht weniger als 25 mph (40 km/h), und damit so schnell wie jede normalspurige Museumsbahn in UK, bretterten wir durch die Grafschaft Devon über Wiesen und Felder und Bü mit Halbschranken - was mag ein unwissender Tourist im Auto denken, wenn sich die Schranken vor ihm schließen, und er über die Kühlerhaube nur die Köpfe von Lokführer und Heizer brausen sieht?

Zunächst regnete es leider noch, aber es klarte immer mehr auf, leider war das Sonnenlicht durch die dünner werdenden Wolken auch recht grell, was man an den Bildern erkennt. Erst am Schluß stellte sich schönes klares Frühlingswetter ein.
Bald erreichten wir Dungeness. Hier gibt es nur einen Leuchtturm, zwei Kernkraftwerke, eine "Künstlersiedlung" aus Hütten und den Bahnhof, sowie einen der weltweit längsten Kiesstrände. Da weder das Künstlerdorf mit seinen Bretterbuden noch das Kraftwerk einen schönen Hintergrund abgaben, und die Sonne blöd stand, wählte ich den Hintergrund "Leuchtturm" für das Porträt von Winston Churchill:

Ein paar Details...der Rucksack mußte schon auf den gegenüberliegenden Sitz:

Der Arbeitsplatz...hier teilen sich wirklich Heizer und Lokführer den spärlichen Raum zwischen Kessel und Tender, leider nicht zu erkennen, der Fahrradtacho oben links in der Ecke - Vorschrift der Aufsichtsbehörde! Die Loks können nämlich deutlich schneller als 25 mph!


Und natürlich das Fahrerlaubnis-Token, das vom Zugleiter ausgegeben wird, nur ein Zug darf immer auf der Strecke sein, nämlich der, der das Token hat!

Und damit sind wir bei einem weiteren interessanten Fakt:
Die RH&DR unterliegt als öffentliche Eisenbahn (!) der Eisenbahnaufsicht, verkehrt nach dem britischen Regelwerk und der Signalordnung! Das heißt volle Signalisierung und Personalaus- und -fortbildung nach Standard! Es gibt nämlich auf der sage und schreibe 21,7 km langen Strecke sogar von der Regionalregierung subventionierte Schülerzüge, die derzeit jedoch eingestellt sind. Allerdings nutzen Einheimische aufgrund der flotten fahrt auch gerne die RH&DR zum Einkaufen oder für sonstige Verkehrsbedürfnisse...
Die RH&DR ist übrigens - wie so vieles in UK - das Ergebnis der Ideen zweier exzentrischer reicher Engländer in den 1920er Jahren. Sie waren beide Motorsportfans, und damit auch Freunde schneller Eisenbahnen. Da sie beide über eine eigene Gartenbahn mit dieser Spurweite verfügten, begannen sie nach dem erfolglosen Versuch, die R&ER zu kaufen, mit dem Bau einer eigenen Strecke....unbestätigten Gerüchten zufolge wurden auf der Strecke auch Geschwindigkeiten jenseits der 50 mph (80 km/h) erreicht, natürlich nicht bei einer öffentlichen Fahrt. Alle Streckenloks verfügen übrigens trotz Zweimannbesetzung über eine SIFA!
Nach der Rückkunft in New Romney erhält Winston Churchill erst mal einen kräftigen Schluck Wasser in seinen fast 1,7 m³ fassenden Schlepptender!

Danach war es Zeit, den ausfahrenden Gegenzug nach Dungeness abzulichten, leider hüllte der Abdampf aus den nach vorne gerichteten Rohren die in "Brunswick Green" gehaltene Lok 2 "Northern Chief" so lange in Dampfwolken, daß erst im allerletzten Moment das Auslösen gelang.

Wir - das heißt eigentlich nur ich - fällten den Entschluß, auch den Ast nach Hythe zu bereisen, und ich erkundigte mich, dank Faltblatt darüber informiert, daß es anstatt Einzel- auch Tageskarten gibt, ob man den Differenzbetrag zahlen könne, oder den kompletten Fahrpreis für die andere Richtung entrichten müßte. Der "Schalterbeamte" im Shop lächelte freundlich, zerriß mein altes Ticket und stellte uns ein neues für die Gegenrichtung aus, und wünschte "a pleasant journey". Dafür kaufte ich ihm allerdings anschließend auch einen Schwung Souvenirs ab...

Kurz ein Blick auf die umfangreichen Bw-Anlagen und die Ausfahrsignale, bevor es dann (beim letzten Zug des Tages wohl immer, damit man die Lok nicht drehen muß) mit Dieseltraktion nicht minder schnell nach Hythe ging. Hierfür wurde vom aus Dungeness zurückkehrenden Zug die Northern Chief abgekoppelt und durch Lok 12 "J.B.Snell" ersetzt.

Auch die Stellwerke entsprechen britischen Standards - auch wenn sie vielleicht etwas "zu heiß gewaschen" und eingelaufen wirken...


Nun endlich in klarem Sonnenschein, allerdings ohne Dampf - Lok 12 vor dem letzten Zug des Tages ab Hythe. Es blieb danach noch ein wenig Restzeit mit dem Leihwagen, um die Grafschaft Kent zu erkunden, bevor es wieder an Bord ging...rechts von mir - nicht im Bild - befindet sich die Drehscheibe, um die Dampfloks zu drehen, der Bahnhof Dungeness ist als großzügige Wendeschleife gebaut.

Um es nicht zu lange zu machen, wird dieser Bericht mit der Ravenglass and Eskdale Railway fortgesetzt, welche sich einige 100 Meilen weiter nordwestlich in der bezaubernden Mittelgebirgslandschaft Cumbrias befindet, und die ich mit meinem Kumpel Wolfgang im Rahmen unserer zweijährlichen "Eisenbahnkur" in UK besucht habe. Bitte etwas Geduld.