Vielen Dank für die aufschlussreichen Ergänzungen, @Reinout
reinout hat geschrieben: ↑Mi 11. Aug 2021, 22:32Gibt es über die erreichte Pegel schon gute Daten im vergleich zu 1910 (und 1804)?
Ich habe mich darüber mit einem guten Bekannten ausgetauscht, der promovierter Ingenieur für Wasserbau ist. Er sagt, dass es schwer zu vergleichen ist, da es damals erstens noch keine genormten Pegel gab und zweitens die Wasserstände von Ort zu Ort sehr unterschiedlich sein können, gerade im engen Ahrtal, in Abhängigkeit davon, wo Treibgut jeweils hängen geblieben ist. So berichteten etwa die Betroffenen in Ahrweiler, wo ich eine Woche mit angepackt habe, dass sich an der bunten Kuh, einer bekannten engen Stelle oberhalb Ahrweilers, ein Staudamm aus Treibgut gebildet hätte, der dann irgendwann geborsten wäre, so dass das Wasser schlagartig sehr hoch und rasend schnell in die Stadt geschwappt ist. Entsprechende Höhenmarken fallen daher deutlich niedriger aus, wenn eine gleich große Wassermenge ungehindert abfließen kann. Da die historischen lokalen Umstände allerdings nur wenig bekannt sind, ist ein Vergleich schwierig. Selbst wenn also beispielsweise die Höchstmarke in Bad Neuenahr 2021 höher war als 1910 oder sogar im Rekordjahr 1804, heißt das noch lange nicht, dass die Ahr 2021 die größte Menge Wasser geführt hat (was bei Siegel-TV aber unseriöser Weise so interpretiert wurde). Es hängt eben entscheidend damit zusammen, wieviel "staufähiges" Material der Fluss geführt hat und wie viele temporäre "Talsperren" sich daraus aufgetürmt haben, woraus ein sogenannter "pulsierender Abfluss" resultiert, der lokal visuell sichtbare Höchstmarken produzieren kann, die nicht exakt proportional mit der realen Durchflussmenge korrelieren müssen. Da das Ahrtal aber heute viel dichter besiedelt ist, viel mehr "staufähige" Brücken vorhanden sind und zahllose Autos, Wohnwagen und sonstiges modernes Treibgut beim jüngsten Hochwasser mitgeführt wurden, ferner der Fluss heute weiter zugebaut ist, was früher sicher nicht bzw. nicht im gleichen Umfang der Fall war, dürfte der Staueffekt beim jüngsten Hochwasser besonders groß und damit auch der daraus resultierende pulsierende Effekt besonders intensiv gewesen sein. Aus Schuld wird beispielsweise in der "Zeit" berichtet, dass zahlreiche Wohnwagen aus den Campingplätzen oberhalb der Ortschaft in der Ahr angetrieben wurden und dass diese unter der Ahr-Brücke der ehemaligen Bahnlinie hängen geblieben sind, so dass ein Staudamm entstanden ist, der den Fluss dann fatalerweise in das Dorf umgeleitet hat. 1910 und 1804 war das mit dem sperrigen Treibgut in der heutigen Form sicher nicht der Fall, da es noch keine oder kaum großvolumige Campingwagen, Autos, Gastanks oder Container gab. Dementsprechend waren viele lokale Hochwassermarken aktuell vermutlich besonders hoch, die abgeführte Wasserdurchschnittsmenge aber eher niedriger. Der Fachmann kommt daher unter Berücksichtigung aller Unwägbarkeiten und bei aller Vorsicht zu der Hypothese, dass die abgeregnete bzw. abgeführte Wassermenge 1910 auch sehr hoch, aber deutlich niedriger war als 2021, aber im Katastrophenjahr 1804 der Wasserdurchfluss von 2021 sogar noch signifikant übertroffen wurde.